Sie sind motiviert und voller Energie. CTOs gelten als technische Visionäre mit Umsetzungsdrang. Auch Digital Natives wollen die Welt verändern – mit IT. Wie groß wäre der Gewinn, wenn wir beide Gruppen zusammenbringen? Dachten Prof. Dr. Alexander Wurzer vom Deutschen Institut für Erfindungswesen (DIE) und Andre Kiehne, verantwortlich für das Partnergeschäft von Microsoft in Deutschland.
So startete Ende 2020 der Versuch: Junge Nachwuchskräfte sollen gestandenen CTOs digitale Perspektiven eröffnen. Wie beim Mentoring – nur andersherum. Im Interview diskutieren die beiden, wie man dieses Reverse-Mentoring auf den Weg bringen kann und wo der Versuch derzeit steht.
Herr Kiehne, mit Reverse Mentoring will Microsoft die Digitalisierung im industriellen Mittelstand voranbringen. Was steckt hinter dem Ansatz, dass gestandene CTOs von Nachwuchskräften über den digitalen Raum aufgeklärt werden?
Andre Kiehne: Wir liegen in Deutschland bei der Digitalisierung auf den hinteren Tabellenplätzen, der Aufstieg ist in weite Ferne gerückt. Um Boden gutzumachen, brauchen wir eine digitale Readiness sowie einen Kulturwandel. Microsoft hat vor rund sechs Jahren unter CEO Satya Nadella die eigene Kultur nachhaltig verändert. Ein wichtiger Hebel ist, sich gegenseitig Feedback zu geben unabhängig von Hierarchie und Alter. So kommen unterschiedliche Perspektiven zusammen und das setzt Ideen frei. Daher fördern wir den Austausch zwischen den Generationen und machen sehr gute Erfahrungen damit.
Foto: Microsoft
Herr Professor Dr. Wurzer, sie sind über die Dieselmedaille stark vernetzt in der Community der Technikvorstände. Verliert Deutschland bei der Digitalisierung tatsächlich den Anschluss?
Alexander Wurzer: Beruflich kümmere ich mich darum, die digitalen Use Cases und Geschäftsmodelle von Unternehmen patentfähig zu bekommen. Dadurch weiß ich, dass wir bei Anmeldungen digitaler Patente brutal hinter den USA und Asien zurückliegen. Aber ich kriege auch mit, wie viele digitale Ansätze es in der Industrie gibt, und die sind fantastisch. Da gibt es keinen Mittelständler, der nicht an irgendeiner digitalen Vorstandsentscheidung arbeitet.
Foto: Microsoft
Wo liegt denn das Problem?
Wurzer: Oft treffe ich Digitalteams bei großen Mittelständlern, die noch in ihren transaktionsbasierten Geschäftsmodellen verhaftet sind – gute Ingenieure bauen gute Maschinen und verkaufen sie. Die kleinen Teams sind absolut digital, weltweit vernetzt und leisten Großartiges. Dann kommt ein Vorschlag hinauf zum Vorstand. Hier fehlt es zwar nicht am technischen Verständnis, kognitiv sind die alle auf der Höhe der Zeit und können ihre Automatisierungsthemen durchdeklinieren. Aber wenn wir CTOs über LinkedIn erreichen wollen, wird es eng. Das Problem der Digitalisierung ist, dass einen das Thema auch persönlich betreffen muss. Es geht um Emotionen, um Weltanschauungen, um Einstellungen.
Könnten Sie das bitte etwas konkreter erläutern?
Wurzer: Im Fokus steht die Einstellung, das Mindset, und wie CTOs ihre Welt denken. Mein 13-jähriger Sohn denkt seine Welt aus seinem Edge-Device heraus. Das ist umfassend. Genauso müssen sich Top-Manager eine persönliche digitale Welt erschließen, sie verstehen und mit ihr interagieren. Hier greift das Reverse Mentoring an, das sich auf der emotionalen und persönlichen Ebene abspielt. Es geht nicht um Next-Gen-Automatisierungskonzepte, sondern um die Führungskraft als Menschen und die Frage, welche Bedeutung digitale Technologie in diesem professionellen Leben hat.
Prof. Wurzer, Sprecher des Dieselkuratoriums
Wie ist Microsoft auf das Thema und die CTO-Community gekommen?
Kiehne: Wir sind schon seit Jahren miteinander im Gespräch, und im CTO-Forum ist ein unglaublicher Wille nach Aufbruch spürbar. Ich bin sicher, dass der Mittelstand bei der Digitalisierung noch nicht da ist, wo er international hingehört. Durch den Austausch des Reverse Mentorings wollen wir den Transfer von Innovationen in ein Unternehmen unterstützen. Junge Mitarbeitende von uns haben das Konzept aus dem Stegreif entwickelt und umgesetzt – auch ein Beleg dafür, dass man viel von der Jugend lernen kann.
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Welche Vorteile hat die umgedrehte Hierarchie im Reverse Mentoring gegenüber einem klassischen Führungskräfte-Coaching?
Wurzer: Entscheidend ist das Spielerische des Konzepts, die Leichtigkeit. Gerade als Deutsche verbinden wir mit Bildung immer noch die Rohrstock-Attitüde – wenn es nicht schmerzt, lernst du nichts. Dabei lernen die Menschen am besten mit Spaß, wenn sie fasziniert sind und etwas wissen wollen. Beim Reverse Mentoring geht es darum, Erfahrungen zu sammeln und sich emotional auf die Digitalisierung einzulassen. Deswegen ist es auch kein normales Coaching. Und seien wir ehrlich: Der CTO kann nicht mal eben ein Seminar besuchen, da schauen gleich alle komisch. Auf dieser Ebene mit Defiziten umzugehen, ist schwierig – Reverse Mentoring hingegen macht es leicht.
Andre Kiehne, General Manager für das Partnergeschäft
Die Mentoren sind allesamt Nachwuchskräfte – Aspires – von Microsoft. Was bringen sie mit, um diese nicht triviale Aufgabe zu lösen?
Kiehne: Jung ist nicht gleich unterfahren. Ein junger Mensch kann andere Erfahrungen beitragen und neue Perspektiven öffnen. Wenn sich das Senior-Management darauf einlassen, den Dialog auf Augenhöhe zu führen, passiert etwas Wertvolles, und sie können neue Ideen mitnehmen. Unsere Aspires sind energiegeladene Menschen. Sie haben eine Leidenschaft für Technologien und globale Herausforderungen, und sie wollen einen Impact in Wirtschaft und Gesellschaft erzielen. Wir fordern Aspires mit komplexen Problemstellungen, um sie zu fördern, und sie setzen bei uns Strategieprojekte um. Unsere Überzeugung ist: Nur ein kontinuierlicher Zustrom junger und ambitionierter Menschen hält das Unternehmen wettbewerbsfähig.
Wurzer: Das ist der springende Punkt: In die CTO-Position stolpert man nicht rein, das Studium des Ingenieurswesens ist keine Parkposition. Dem setzt man sich aus, weil man eine Überzeugung vertritt. Das Versprechen der industriellen Revolution ist, dass es uns durch Technik immer ein bisschen besser gehen wird. Die CTOs haben das unterstrichen mit ihrer Leidenschaft für Technologie. Die gleiche Leidenschaft verbindet den CTO und den Aspire. Das sind keine Gutachter, Juristen und Betriebswirte – sie springen in die Aufgabe rein und wollen etwas bewirken. Dieser Spirit schweißt zusammen.
Hatten Sie insgeheim Zweifel, dass der Pilotversuch erfolgreich verlaufen wird?
Wurzer: Eigentlich nicht. Ich kenne die CTOs ziemlich gut und habe nicht daran gezweifelt, dass wir eine kritische Masse zusammenkriegen. Und der Erfolg gibt uns Recht: Die 14 Paare des ersten Jahrgangs agieren toll miteinander. Jetzt sitzen sie einmal im Monat im virtuellen Herzblatt-Hubschrauber und können sich austauschen. Aber natürlich bestand ein Risiko, dass eine Seite nicht den richtigen Ton trifft. Wir haben uns viel Mühe gegeben, das Projekt einzuphasen, zu kommunizieren und die richtigen Menschen zusammenzuführen. Der Clash of Generations sorgt für die richtige Energiemenge, damit sich etwas bewegt. Hätten sich alle nur auf die Schulter geklopft, wäre es gleich vorbei gewesen.
Prof. Wurzer, Sprecher des Dieselkuratoriums
Wie fällt die bisherige Bilanz für Microsoft aus?
Kiehne: Die Resonanz aus den ersten Feedback-Gesprächen war extrem positiv, wir haben den Austausch auf Augenhöhe erfolgreich eingeleitet. Das macht mir Mut, dass wir den Kulturwandel, den wir selbst frühzeitig gestartet haben, mit neuen Impulsen weiter in die deutsche Wirtschaft bringen. Ein Geheimnis des Erfolgs ist das so genannte Growth Mindset, ein Credo von Microsoft: Jede Person wird befähigt und ermutigt, die Komfortzone zu verlassen. Ziel ist, mit gegenseitigem Respekt die Herausforderungen zu erkennen und eine Lösung zu erarbeiten. Man sieht das bei unseren Aspires, die mit viel Energie und Leidenschaft vorgehen.
Was haben ihre Nachwuchskräfte von der Arbeit als Mentor?
Kiehne: Tolle Erfahrungen plus den Kontakt zu interessanten und einflussreichen Menschen, die einen Beitrag zur Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands leisten. Die CTOs im Forum haben nicht nur viel Verantwortung, sondern auch viel geleistet in ihrer Karriere. Von ihren Erfahrungen zu lernen, ist extrem wertvoll. Zudem erfahren die Mentoren, wie man dem Top-Management gegenüber auftritt. An der Zahl der internen Bewerbungen der Aspires haben wir gesehen, dass sehr viele an der Aufgabe interessiert waren. Insofern bin ich optimistisch, was die nächste Runde betrifft.
Hier sind die teilnehmenden CTOs organisiert
Das Deutsche Institut für Erfindungswesen e.V. ist Trägerverein der Rudolf-Diesel-Medaille und war zuvor unter den Namen „Deutscher Erfinder Verband“ und später als „Institut für Erfinder“ bekannt. Mit rund 150 Mitgliedern bildet das CTO-Forum der Dieselmedaille die größte CTO-Organisation in Deutschland.
Sie möchten erfahren, was genau Andre Kiehne mit Growth Mindset als wesentlicher Bestandteil der Unternehmenskultur meint? Dann lesen Sie, wie ein radikaler Change den Entwicklern von Microsoft mehr Autonomie bescherte.
Wie genau das Reverse-Mentoring-Programm von Microsoft zustande kam, wie die jeweiligen Paare zueinander fanden (Spoiler Alert: Speed Dating!) und wie auch Ihr Unternehmen am Programm teilnehmen kann, erfahren Sie im zweiten Teil unserer Artikelserie über Reverse Mentoring.
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